Bild: Alexas_Fotos / CC0
Mit ihrer geplanten Europa-Rente PEPP (Pan-European Personal Pension) will die EU den Absatz privater Vorsorgeprodukte massiv ankurbeln, zulasten der gesetzlichen Renten. Die PEPP-Verordnung spiegelt die Forderungen der internationalen Finanzindustrie wider, so jene des US-Konzerns BlackRock. Viele Europa-Abgeordnete sind begeistert, darunter auch der Grünen-Politiker Sven Giegold.
Von Thomas Fritz
Das JournalistInnen-Kollektiv "Investigate Europe" enthüllte ein weiteres Beispiel für die Verfilzung der EU mit internationalen Konzernen. Der US-Finanzverwalter BlackRock lobbyierte demnach erfolgreich beim Vize-Präsidenten der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, für die Einführung der paneuropäischen Privatrente PEPP.
Anfang 2015 veröffentlichte BlackRock in einem Positionspapier seine Wünsche für ein grenzüberschreitendes europäisches Rentenprodukt und erläuterte, welchen Anforderungen dieses genügen müsse. Anschließend trafen sich BlackRock-Leute mehrmals mit Dombrovskis und dessen MitarbeiterInnen. Mit Erfolg: Im vergangenen Jahr veröffentlichte die Kommission ihre PEPP-Verordnung. Nachdem diese im Europäischen Rat bereits auf Zustimmung traf, wird sie derzeit im Europäischen Parlament beraten und könnte noch in diesem Jahr beschlossen werden.
Im Vorfeld kaufte die Kommission eine Machbarkeitsstudie bei dem Beratungskonzern Ernst & Young, die wunschgemäß ein riesiges Geschäftspotenzial EU-weit standardisierter Rentenprodukte errechnete. Mit PEPP könne der private Altersvorsorgemarkt bis 2030 von 0,7 Billionen auf 2,1 Billionen Euro steigen. Als Referenz für diese Berechnung verweist die Machbarkeitsstudie auf die hohe Marktdurchdringung der deutschen Riester-Renten. Was Ernst & Young aber verschweigt: Dieser Absatzerfolg war nur möglich, weil die rot-grüne Regierung seinerzeit das gesetzliche Rentenniveau drastisch absenkte und die überaus miesen Riester-Produkte großzügig subventionierte.
Vorbild Riester: Europäische Schrottpolicen
Um ähnlich wie in Deutschland nun auch europaweit die Menschen zur Privatvorsorge zu drängen, erging sich EU-Kommissar Dombrovskis in den üblichen Dramatisierungen unserer steigenden Lebenserwartung. "Europa steht vor einer beispiellosen demografischen Herausforderung", verkündete der Lette. Obgleich die staatlichen Rentensysteme damit überfordert seien, betrieben nur 27 Prozent der EuropäerInnen zwischen 25 und 60 Jahren private Vorsorge. Genau dies will die EU nun ändern. "Mit dem vorliegenden Vorschlag soll die Aufnahme privater Altersvorsorge in der EU gesteigert werden", heißt es in der Begründung der PEPP-Verordnung.
PEPP soll wie ein Gütesiegel funktionieren, das allerlei neuen, aber auch bestehenden, Finanzprodukten auf Antrag verliehen werden kann. An deren Anbieter, seien dies Banken, Versicherungen, Fonds oder Vermögensverwalter, stellt der Kommissionsvorschlag nur minimale Anforderungen. So dürfen sie den KundInnen bis zu fünf Anlageoptionen mit unterschiedlichen Risikoprofilen verkaufen, wobei nur eine von ihnen - die obligatorische Standardoption - eine Garantie des eingezahlten Kapitals erfordert (Artikel 37, PEPP-Verordnung). Doch umfasst diese Garantie weder eine Mindestverzinsung, die die Inflation ausgleichen könnte, noch eine Deckelung der teils immensen Vertriebs- und Verwaltungskosten. Bei deutschen Privatrenten etwa belaufen sich die Kosten auf 10 bis 20 Prozent der Spargelder. Die Gesetzliche Rentenversicherung dagegen kommt mit Verwaltungskosten von nur 1,4 Prozent aus. (1)
Schlimmer noch: Die PEPP-Verordnung erlaubt es den Anbietern, die Spargelder in alle erdenklichen Finanzinstrumente zu investieren, einschließlich hochriskanter Derivate, die 2008 zum Ausbruch der globalen Finanzkrise führten. "Anlagen in derivativen Finanzinstrumenten sind zulässig", gibt sich die Verordnung großzügig. Ebenso erlaubt sie Anlagen auf ungeregelten Märkten, die keiner Börsenaufsicht unterliegen (Artikel 33). Schließlich dürfen die KundInnen wählen, ob sie in der Auszahlungsphase eine lebenslange Rente, Kapitalentnahmen, eine Einmalzahlung oder Kombinationen dieser Optionen wünschen (Artikel 52). Auch diese Klausel weitet das Spektrum der PEPP-fähigen Finanzprodukte noch einmal beträchtlich aus. Für die potenziellen PEPP-SparerInnen heißt all dies: Vor Verlusten sind sie nicht geschützt.
Amtliche Heuchelei: Privatvorsorge für Prekarisierte
Grotesk wird es schließlich, wenn die EU-Kommission soziale Verantwortung heuchelt. So behauptet sie in ihrer Begründung, "die gesellschaftlichen Auswirkungen wären positiv", da die Menschen dank der PEPPs "die Angemessenheit ihrer Altersversorgung steigern könnten". Besonders profitieren würden "Arbeitnehmer in atypischen Beschäftigungsverhältnissen" und ArbeitsmigrantInnen, die "keinen ausreichenden Zugang zu staatlichen oder betrieblichen Vorsorgesystemen haben" (PEPP-VO, S. 11f). Dies ist natürlich grober Unfug, denn prekäre Beschäftigung (Befristung, Teilzeit, Leiharbeit, Mini-Jobs, Schein-Selbständigkeit) bedeutet für die Betroffenen in der Regel ein Niedrigeinkommen, das private Zusatzversorgung unmöglich macht. Entsprechend kann sich auch in Deutschland der Großteil der GeringverdienerInnen keine Riester-Renten leisten, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in einer Studie bestätigte.
Wenig verwunderlich, begrüßen ein Großteil der Finanzindustrie sowie neoliberale Abgeordnete des Europa-Parlaments den PEPP-Vorschlag. Die Berichterstatterin des EP, die Niederländerin Sophia in 't Veld, entwarf bereits eine Entschließung, die die Mitgliedsstaaten auffordert, den PEPP-Produkten die gleichen Steuervergünstigungen zu gewähren wie nationalen Angeboten - selbst wenn die PEPPs nicht vollständig den nationalen Anforderungen genügen. Den gleichen Vorschlag hatte zuvor bereits die Kommission unterbreitet.
Deutschland: Riester-Dealer fürchten um Profite
Doch manche Finanzmarktakteure fordern auch Nachbesserungen an der Verordnung. Dies gilt vor allem für Anbieter, die bisher gute Geschäfte mit staatlich subventionierter Altersvorsorge in einzelnen Mitgliedsstaaten wie Deutschland machen konnten und nun die Konkurrenz durch PEPPs fürchten. Viele Riester-Profiteure wie die Allianz, Ergo oder R+V sind im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zusammengeschlossen, der ebenfalls Änderungen einfordert - selbstverständlich nur zum Besten der KundInnen. Die Europa-Rente dürfe "erreichte sozialpolitische Standards nicht unterlaufen", schreibt heuchlerisch der GDV. Um dies zu vermeiden, sollten die PEPPs ähnlich einer Rente "standardmäßig eine lebenslange Auszahlung" vorsehen.
Auch die Anbieter betrieblicher Altersvorsorge fürchten um ihre Pfründe, für deren Mehrung Ex-Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) gerade erst mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz gesorgt hat. Die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (aba) prophezeit eine Abwanderung ihrer KundInnen zu den PEPPs, sollten die Mitgliedsstaaten diesen Produkten ähnliche Steuervergünstigungen einräumen wie existierenden Betriebsrenten. Dies würde "signifikante (negative) Auswirkungen auf bestehende Verträge haben". Die Mehrheit der Betriebsrenten wird heutzutage nicht mehr von den Betrieben selbst verwaltet, sondern von Versicherungen wie Allianz, Ergo und anderen.
Der Bundesrat griff die Sorgen der hiesigen Finanzbranche auf und stellte in einem Beschluss vom November 2017 fest, dass die Europa-Rente "Auswirkungen auf die deutsche Konzeption der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge haben könnte". Zwar begrüßt er die EU-Verordnung grundsätzlich, sieht jedoch "nur wenige Vorteile" gegenüber bestehenden Produkten. Wichtige Aspekte des Verbraucherschutzes seien nicht ausreichend geregelt und es fehle an einer obligatorischen lebenslangen Auszahlung der Renten. Aus diesen Gründen halt die Länderkammer "eine der Riester-Förderung vergleichbare Förderung der PEPP-Produkte für nicht angezeigt".
Grüne Unterstützer: PEPP-Fan Giegold
Ganz anders aber sieht das der deutsche EU-Parlamentarier Sven Giegold. "Mit der Europa-Rente wächst Europa ein Stück weiter zusammen", jubelt der grüne Abgeordnete. Denn PEPP sei "das erste wirklich europäische Finanzprodukt für Verbraucher". Giegold legt einen schier unbeirrbaren Glauben an die Segnungen des Wettbewerbs an den Tag. Noch würden Banken und Versicherungen die VerbraucherInnen "mit unangemessen hohen Kosten wie bei der Riester-Rente" belasten. Aber dank PEPP sei damit Schluss. "Diese Kosten wird die Europa-Rente durch Vergrößerung des Angebots und bessere Vergleichbarkeit senken", gibt sich der ehemalige Attac-Aktivist überzeugt.
Keinerlei Verständnis hat Giegold für deutsche Vorbehalte: Die "Bedenkenträgerei aus Berlin" sei "völlig fehl am Platze". Die Bundesregierung müsse ihre Vorbehalte gegenüber der Europa-Rente ablegen "und sich hinter den Vorschlag stellen". Ganz im Sinne von BlackRock und Co. verlangt der Grüne, dass die Mitgliedsstaaten die Europa-Rente "steuerlich genauso fördern wie nationale Produkte". Auf seine Partei kann die globale Finanzindustrie in Sachen PEPP auch künftig zählen: "Die Grünen werden sich im Europaparlament für einen Beschluss zur Unterstützung des Kommissionsvorschlags einsetzen", verspricht der einstige Globalisierungskritiker.
Doch für die Mehrheit der ArbeitnehmerInnen, denen aufgrund prekärer Beschäftigung die Altersarmut droht, sind Riester-Renten und PEPPs gleichermaßen gefährlich. Denn die kapitalgedeckten Vorsorgeprodukte unterhöhlen die weitaus sicheren und rentableren gesetzlichen Renten. Die Finanzindustrie und ihre Spezis in der Politik folgen nämlich einem einfachen Kalkül: Je stärker die Leistungen der umlagefinanzierten staatlichen Renten schrumpfen, umso größer die potenzielle Kundschaft für die Anbieter privater Vorsorge. So diente die drastische Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus in Deutschland als Schmiermittel der Riester-Renten.
Eurokraten kämpfen für gescheitertes Modell
Nach dem gleichen Muster verfuhr die Gläubiger-Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF während der Eurokrise. Zu den Auflagen ihrer Hilfspakete für Irland, Portugal und Griechenland gehörten ebenfalls teils drastische Rentenkürzungen. Doch nicht nur von Krisenländern verlangt die EU einschneidende Rentenreformen. Im Zuge ihrer kontinuierlichen Haushaltsüberwachung durch das sogenannte Europäische Semester verlangte sie bereits von der Mehrheit der Mitgliedsstaaten, Renten zu kürzen und private Vorsorge zu fördern. Mit ihrer Forderung, staatliche Subventionen in die Privatvorsorge zu lenken, verschärft die Kommission zudem die Konkurrenz um knappe öffentliche Mittel. Doch wären diese weit sinnvoller in den gesetzlichen Systemen angelegt als in den überteuerten Policen der Finanzindustrie.
Zumal das Geschäftsmodell der Versicherer durch die andauernden Niedrigzinsen immer stärker unter Druck gerät. Schon beginnen die ersten Konzerne ihre Lebensversicherungssparten abzustoßen - ein klares Zeichen des Scheiterns der privaten Altersvorsorge. Auch sind Riester-Verträge und PEPPs keine Antwort auf die massenhafte Zunahme der Altersarmut. Die Riester-Subventionen sollten daher eingestellt und die PEPPs gar nicht erst eingeführt werden.
Fußnote
1) Holger Balodis/Dagmar Hühne: Die große Rentenlüge - Warum eine gute und bezahlbare Alterssicherung für alle möglich ist, Westend Verlag, Frankfurt am Main 2017