Personalnot: Der Kahlschlag bei den öffentlichen Diensten

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Bild: geralt / CC0

In Kliniken, Kitas und Schulen gehört der Personalmangel zum traurigen Alltag. Ursache des Notstands ist die andauernde Sparpolitik, der vor allem die öffentlichen Dienste zum Opfer fallen. Ein Vergleich mit europäischen Nachbarn zeigt, in welch drastischem Maße deutsche Regierungen den eigenen Staat schrumpften. Er beweist aber auch, dass ein größerer öffentlicher Sektor noch immer möglich wäre.

Von Thomas Fritz

In Deutschland scheinen die wahren Staatsfeinde in der Regierung zu sitzen. Diesen Verdacht nährt zumindest ein Blick auf die öffentlichen Ausgaben der letzten Jahrzehnte. Deren drastischer Einbruch schlägt sich in einem weit verbreiteten Personalmangel in der öffentlichen Daseinsvorsorge nieder, sei es in Kliniken, Pflegeheimen, Kitas, Schulen oder vielen Ämtern.

Ein Indikator der rigiden Sparpolitik, der deutsche Regierungen bis heute frönen, ist die sogenannte Staatsquote. Diese setzt die gesamtstaatlichen Ausgaben ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Neben den Personal- und Sachausgaben erfasst sie auch die öffentlichen Investitionen, Sozialleistungen und Subventionen.

Deutsche Knauserigkeit: Staatsquote im Sinkflug

In Deutschland sinkt die Staatsquote bereits seit Mitte der 1990er Jahre. Betrug sie 1995 noch 55 Prozent, stürzte sie bis 2007 - kurz vor dem Ausbruch der internationalen Finanzkrise - auf 43 Prozent ab. Die zur Abfederung der Krisenfolgen aufgelegten Konjunkturpakete ließen die Quote nur kurzzeitig in 2009 und 2010 ein wenig ansteigen. In den folgenden Jahren sank sie wieder ab und verharrt seither auf einem kläglichen Niveau von kaum 44 Prozent.

Ein Vergleich mit einigen unserer europäischen Nachbarn zeigt jedoch, dass Deutschland - gemessen an seinem immensen Reichtum - den Staat unverhältnismäßig stark schrumpfte. Zwar drosselten in der Vergangenheit auch andere westeuropäische Länder wie Frankreich oder die skandinavischen Wohlfahrtsstaaten ihre öffentlichen Ausgaben. Die Austeritätspolitik erreichte dort jedoch nie die deutschen Ausmaße.

In Frankreich etwa beläuft sich die Staatsquote noch auf knapp 57 Prozent, in Finnland auf 54 Prozent und in Dänemark auf 52 Prozent. Deutschland hingegen verbleibt mit seinen 44 Prozent sogar noch unterhalb des EU-Durchschnitts.

Drastische Magerkur: Staatlicher Personalabbau

Die wesentlichen Gründe für den Niedergang der Staatstätigkeit sind der Personalabbau im öffentlichen Dienst sowie Privatisierungen und Leistungskürzungen in den sozialen Sicherungssystemen (etwa die Einführung von Hartz IV oder die Absenkung des Rentenniveaus). Der personelle Aderlass war dabei besonders dramatisch. Zwischen 1991 und 2008 schrumpfte die Zahl der Beschäftigten im deutschen öffentlichen Dienst um ein Drittel von 6,7 Millionen auf nur noch 4,5 Millionen. Heute verharrt sie bei noch immer sehr niedrigen 4,7 Millionen.

Mit diesem Kahlschlag entledigten sich unsere Regierungen eines guten Teils der staatlichen Personalkosten. Auch die Niedriglöhne, die besonders die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder nach Kräften förderte, schonen die öffentlichen Kassen.

Den Sturzflug der Personalausgaben leitete die schwarz-gelbe Regierung unter Helmut Kohl ab Anfang der 1990er Jahre ein. Weiter abwärts ging es dann unter Rot-Grün (1998-2005). Erst unter der schwarz-roten Regierung von Angela Merkel erholten sich die Personalausgaben ab 2008 kurzfristig, unter anderem dank der Konjunkturpakete. Die folgenden Regierungen - Schwarz-Gelb und Schwarz-Rot - kehrten jedoch wieder zur üblichen Sparpolitik zurück. Zwischen 1993 und 2017 schrumpften die staatlichen Personalausgaben insgesamt von 8,9 auf 7,5 Prozent des BIP. 

Ein exotischer Gedanke: Warum nicht mal von Nachbarn lernen?

Auch bei den Personalausgaben gebärden sich die deutschen Regierenden weit knauseriger als der Durchschnitt ihrer europäischen KollegInnen. Dänemark etwa gibt mit 15,5 Prozent des BIP sogar doppelt so viel aus wie Deutschland mit seinen dürftigen 7,5 Prozent. In Frankreich, Schweden und Finnland liegen die staatlichen Personalausgaben noch immer um mehr als zwei Drittel höher als im sparwütigen Deutschland.

Doch was wäre, wenn Deutschland mit der Austerität bräche? Wenn deutsche Regierungen sich an Skandinavien orientierten und öffentlich Beschäftigte als Herzstück der Daseinsvorsorge entdeckten? Wieviele zusätzliche Mittel müsste Deutschland aufbringen, um zu Dänemark und anderen EU-Ländern aufzuschließen? Eine einfache Rechnung gibt die Antwort.(1)

2017 belief sich das deutsche Bruttoinlandsprodukt auf 3,26 Billionen Euro. Die Personalausgaben des Staates machten 7,5 Prozent des BIP aus, also rund 240 Milliarden Euro. Würde Deutschland diesen Posten auf das dänische Niveau von 15,5 Prozent anheben, kämen wir auf einen Betrag von 510 Milliarden Euro. Um mit Dänemark gleichzuziehen, müsste Deutschland gegenüber dem heutigen Niveau also 270 Milliarden Euro zusätzlich ausgeben.

Um zu Frankreich, Schweden und Finnland aufzuschließen, wären zusätzlich 170 Milliarden Euro erforderlich. Wollte Deutschland wenigstens das Niveau erreichen, das die EU-Mitglieder durchschnittlich für öffentlich Beschäftigte ausgeben, müsste es 90 Milliarden Euro zusätzlich aufbringen.

Diese Zahlen zeigen, wie weit Deutschland noch von einem Sozialstaat entfernt ist, der diesen Namen verdient. Der Aufbau eines Wohlfahrtsstaats mit der erforderlichen öffentlichen Beschäftigung als wesentlichem Kern, bleibt hierzulande ein Zukunftsprojekt. Die Regierungen der letzten Jahre haben uns auf diesem Weg zurückgeworfen. Doch der Blick zu einigen unserer Nachbarn in Europa beweist, dass ein weit größerer öffentlicher Sektor grundsätzlich noch immer realisierbar wäre. 

 

Fußnote

1) Eine ähnliche Rechnung stellte Cornelia Heintze von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik in einer sehr lesenswerten Studie aus dem Jahr 2017 an: "Öffentlicher Dienst - Quo vadis? Öffentlicher Dienst zwischen fortgesetzter Auszehrung und Renaissance".