EuGH stärkt AirBnB: Erhalt von Wohnraum verstößt gegen das EU-Recht

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Foto: thofrijama

Kurz vor Weihnachten, am 19. Dezember 2019, erging ein fatales Urteil für Mieter*innen in der EU. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) vereitelte den Versuch Frankreichs, AirBnB schärfer zu regulieren. Mit seinem Urteil unterminiert der EuGH die in mehreren europäischen Städten erlassenen Zweckentfremdungsverbote zum Erhalt von Wohnraum.

Von Jana Mattert und Thomas Fritz

AirBnB steht in der Kritik, weil der US-Konzern die massenhafte Umwandlung von Mietwohnungen in Ferienwohnungen forciert - ein Problem besonders in größeren Städten und touristischen Orten. Mit seinem Geschäftsmodell verschärft AirBnB die städtische Wohnungskrise. Denn längst tummeln sich auf seinem Webportal professionelle Anbieter*innen, die Wohnungen dauerhaft dem Mietmarkt entziehen.[1] Das Geschäft ist überaus profitabel: Im Vergleich zu Mietwohnungen lässt sich mit Ferienwohnungen das Vier- bis Fünffache an Einnahmen erzielen.

Mit Maßnahmen wie Zweckentfremdungsverboten versuchen Städte in ganz Europa, der Umwandlung in Ferienwohnungen Einhalt zu gebieten. Bei der Durchsetzung scheitern sie jedoch regelmäßig an AirBnB. Da die Anbieter*innen auf der Plattform meist nur mit Vornamen inserieren und die Adresse der Wohnungen fehlt, bräuchten die Städte die vollständigen Namen der Vermieter*innen sowie die Adressen der Ferienwohnungen. Diese Daten aber verweigert AirBnB regelmäßig den Behörden.

Die Ohnmacht der Kommunen

Eine Durchsetzung der Zweckentfremdungsverbote würde die Profite des US-Konzerns empfindlich schmälern, denn AirBnB verdient an jeder Vermietung mit, egal ob legal oder illegal. Aufgrund der Datenblockade von AirBnB müssen die Städte enormen Aufwand treiben, um illegale Ferienwohnungen aufzuspüren. Die Ohnmacht der Stadtverwaltungen ist so groß, dass sie häufig die Bevölkerung um Mithilfe bitten.

Andere Städte lassen sich auf Kooperationsangebote von AirBnB ein. Doch die Erfahrungen, die diverse US-amerikanische Kommunen bereits mit diesen Kooperationen gemacht haben, sind ernüchternd. Der Konzern diktiert die Konditionen und blockiert weiterhin den Zugriff auf erforderliche Informationen.[2]

Einige Städte versuchten, gerichtlich an die Daten der AirBnB-Vermieter*innen zu gelangen. Auch das meist ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht Berlin etwa beschied, dass Auskunftsersuchen nur an AirBnBs Europazentrale in Irland gerichtet werden können, da nur sie die Dienste­anbieterin im europäischen Binnenmarkt sei.[3] Anfragen mehrerer Kommunen an die irische Zentrale blieben aber ebenfalls erfolglos.

In der irischen Steueroase Dublin profitiert AirBnB nämlich nicht nur vom dortigen Niedrigsteuersatz, sondern auch von der Dienstleistungsfreiheit im EU-Binnenmarkt. In seinen juristischen Auseinandersetzungen macht der US-Konzern geltend, er genieße den Schutz der E-Commerce-Richtlinie der EU und des darin verankerten Herkunftslandprinzips. Nach diesem Prinzip steht grundsätzlich nur dem Sitzland, in diesem Fall Irland, die Kontrolle von AirBnB zu, einschließlich der Geschäfte in allen anderen EU-Mitgliedsstaaten.

EuGH verschärft die Wohnungskrise

Ein französisches Gericht wollte nun im Juni 2018 vom EuGH wissen, ob AirBnB tatsächlich unter die E-Commerce-Richtlinie fällt. Der Hintergrund: Die Pariser Staatsanwaltschaft hatte Klage gegen AirBnB erhoben, weil der Konzern ohne eine Maklerlizenz Immobilien vermittelte. AirBnB dagegen bestritt, als Immobilienmakler tätig zu sein. Das französische Makler-Gesetz (Loi Hoguet) sei nicht auf AirBnB anwendbar, weil dies mit der E-Commerce-Richtlinie kollidiere.

In seinem Urteil vom 19. Dezember 2019 schloss sich der EuGH der Argumentation von AirBnB an. Der Konzern erbringe einen "Dienst der Informationsgesellschaft" nach der E-Commerce-Richtlinie und genieße die grenzüberschreitende Dienstleistungsfreiheit im EU-Binnenmarkt. Das französische Recht sei daher nicht anwendbar.[4]

Für Städte, die gegen die grassierende Umwandlung in Ferienwohnungen ankämpfen, ist das EuGH-Urteil ein "herber Rückschlag", wie der Österreichische Städtebund kritisiert.[5] Bereits im Vorfeld der Entscheidung hatte ein Bündnis von zehn europäischen Städten, darunter Berlin, München, Wien, Amsterdam, Barcelona, Brüssel und Paris, in einem offenen Brief vor den Folgen eines negativen Urteils gewarnt.[6] Doch vergeblich. Denn den erforderlichen Zugriff auf AirBnBs Vermietungsdaten hat das Luxemburger EU-Gericht nun nahezu unmöglich gemacht. Das dürfte sich auch negativ auf Gerichtsverfahren in Deutschland auswirken.

Rechtsdurchsetzung: Quadratur des Kreises

Im Dezember 2018 schöpften deutsche Städte kurzzeitig Hoffnung, weil das Münchener Verwaltungsgericht eine Klage von AirBnB Irland gegen ein Auskunftsverlangen der Stadt München abgewiesen hatte. Nach diesem Urteil wäre der Konzern verpflichtet gewesen, die geforderten Vermietungsdaten der Münchener Verwaltung zu übermitteln.

Doch aufgrund von Zweifeln am Münchener Urteil ließ der Bayrische Verwaltungsgerichtshof im August 2019 AirBnBs Berufung zu.[7] In ihrer Begründung verwiesen die bayrischen Richter*innen auf das Telemediengesetz, mit dem die E-Commerce-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt wurde. Weil der Herkunftsstaat Irland für die Kontrolle von AirBnB zuständig sei, dürften andere EU-Staaten nur im begründeten Einzelfall die Dienstleistungsfreiheit des Konzerns einschränken, so die Richter*innen.

Tatsächlich heißt es im Telemediengesetz, dass ein Diensteanbieter nur "im Einzelfall Auskunft über Bestandsdaten erteilen" darf.[8] Voraussetzung dafür ist, so der Verwaltungsgerichtshof, ein auf konkrete Personen oder Wohnungen bezogener Anfangsverdacht, den die Stadt München jedoch nicht erbracht habe.

Letztlich fordern die Richter*innen damit die Quadratur des Kreises. Denn um solche konkreten Verdachtsfälle zuverlässig entdecken zu können, bräuchten die Städte den Zugriff auf die Vermietungsdaten, den sie aber nicht erhalten. Zwar steht die Entscheidung des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofs noch aus, doch nach dem EuGH-Urteil erscheint es kaum noch möglich, dass München das Auskunftsverlangen gegenüber AirBnB wird durchsetzen können. Denn nun ist das bayrische Gericht auch noch an das fatale Urteil aus Luxemburg gebunden.

Hürde im Kampf gegen Steuerbetrug

Mit seiner Datenblockade kannibalisiert AirBnB aber nicht nur Wohnraum, sondern beschert den öffentlichen Kassen auch noch Verluste. Die Anonymität der Wohnungsinserate auf seiner Plattform erlaubt all den unseriösen Anbieter*innen nämlich die massenhafte Vermeidung von Einkommen-, Gewerbe- oder Übernachtungssteuern. Das EuGH-Urteil dürfte daher auch die Bemühungen der Finanzbehörden konterkarieren, die Steuervermeidung bei der Vermietung von Ferienwohnungen einzudämmen.

Dies ist umso ärgerlicher, als die Amtshilfe zwischen Steuerbehörden sich bisher als weitgehend ineffektiv erwiesen hat. Im Mai 2018 wurde bekannt, dass das Bundeszentralamt für Steuern eine Gruppenanfrage an die irischen Finanzbehörden über Daten deutscher AirBnB-Inserent*innen gestellt hatte.[9] Doch bis heute ist das Ergebnis unbekannt. Im Oktober 2018 verweigerte das Bundesfinanzministerium von Olaf Scholz der Bundestagsfraktion der Linken Auskunft über die deutsche Anfrage an die irischen Behörden.[10] Seither gibt es keine weitere Information über den Stand der Anfrage.

Ohnehin bieten die EU-Direktiven zum steuerlichen Informationsaustausch keine Grundlage, um digitale Plattformen zur Herausgabe ihrer Daten zu zwingen.[11] Daher vermuten Steueranwält*innen, bei der deutschen Anfrage an Irland handle es sich eher um eine symbolische Aktion, die bestenfalls in einem Vergleich mit AirBnB enden könne. Im Zuge eines solchen Vergleichs könnte AirBnB einen kleineren Teil der Steuerschuld seiner Inserent*innen begleichen, ohne deren Daten aber an den Fiskus zu übergeben.[12] Die unseriösen Vermieter*innen blieben auf diese Weise ungeschoren.

EU blockiert Recht auf Wohnen

Das AirBnB-Urteil des EuGH unterminiert daher nicht nur den Kampf gegen Zweckentfremdung, sondern auch gegen Steuerbetrug. Länder und Kommunen, die den hohen Schaden der digitalen Übernachtungsmakler eindämmen wollen, müssten Maßnahmen ergreifen, die mit dem EU-Recht unvereinbar sind.

Erforderlich wären folgende Auflagen: Vermieter*innen dürften nur dann auf den Plattformen inserieren, wenn sie Steuernummern und Wohnungsadressen angeben. Ergänzend müssten AirBnB & Co. gezwungen werden, ihre Vermietungsdaten in allen Zielmärkten zu speichern und an Wohnungs- und Finanzämter weiterzuleiten. Da das aber gegen das EU-Recht verstößt, werden Regierungen bis auf Weiteres davor zurückschrecken, die Geschäfte der Beherbergungsplattformen wirksam einzuschränken.

 

ENDNOTEN

[1] Kenneth Haar: UnFairbnb, Hrsg.: Corporate Europe Observatory, Mai 2018

[2] Paris Martineau: Inside Airbnb’s 'Guerrilla War' Against Local Governments, Wired, 20.03.2019

[3] Verwaltungsgericht Berlin: Auskunftsverfügung auf der Grundlage des Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum, 14.03.2018, 6 K 676.17

[4] EuGH: Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-390/18, 19.12.2019

[5] Stadt Wien: EuGH/Airbnb-Urteil/Städtebund: Rückschlag für Österreichs Städte, APA-OTS, 20.12.2019

[6] Gemeente Amsterdam: Cities alarmed about European protection of holiday rental, Pressemitteilung

[7] Verwaltungsgerichtshof Bayern: Zu den Anforderungen an die Rechtmäßigkeit eines behördlichen Auskunftsverlangens nach Zweckentfremdungsrecht, 20.08.2019, 12 ZB 19.333

[8] Telemediengesetz (TMG): § 14 Bestandsdaten

[9] Maximilian Krämer: Die eigene Wohnung als Urlaubsdomizil—Steuerrecht bei Vermietung über Airbnb & Co, Legal Tribune Online, 09.09.2019

[10] Deutscher Bundestag: Keine Angaben zu Fragen nach Airbnb. HiB, 26.10.2018

[11] Katerina Pantazatou: Taxation of the Sharing Economy in the European Union, Forthcoming, Cambridge Handbook of Law and Regulation of the Sharing Economy, Davidson, Infranca and Finck (eds.), CUP 2018

[12] The Irish Times: Germany seeks Airbnb Ireland’s help to catch tax evaders, 18.05.2018