Investitionsstau: Der aufhaltsame Verfall der öffentlichen Infrastruktur

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Bild: MichaelGaida / CC0

Deutschlands anhaltende Sparpolitik dezimiert systematisch die öffentlichen Infrastrukturen, vor allem in den Kommunen. Die staatlichen Investitionen sind bis heute vollkommen unzureichend. Besonders erschreckend dabei: Die deutsche Investitionsschwäche macht zunehmend in Europa Schule. Doch eine relevante Zahl von Ländern schlägt dennoch einen alternativen Kurs ein.

Von Thomas Fritz

Die andauernde deutsche Sparpolitik verursacht eine systematische Schwächung der öffentlichen Daseinsvorsorge. Unverzichtbare Dienstleistungen werden ungebrochen kaputtgespart, dies noch verschärft unter den Zwängen von Schuldenbremse und schwarzer Null. Ein Element dieser Sparpolitik sind die seit vielen Jahren vollkommen unzureichenden öffentlichen Investitionen.

Grunsätzlich fließen die öffentlichen Investitionen hauptsächlich in Baumaßnahmen sowie den Erwerb diverser Sachmittel, vom Bleistift bis zum PC. Der Löwenanteil entfällt dabei auf den Bau und die Sanierung von Straßen und öffentlichen Gebäuden wie etwa Schulen. Die andauernde staatliche Investitionsschwäche erzeugt aber nicht nur massive Schäden am baulichen Zustand der Infrastrukturen. Viele Einrichtungen wie etwa Krankenhäuser versuchen nämlich, die staatliche Unterinvestition durch Einsparungen beim Personal auszugleichen. Die gesparten Mittel verwenden sie dann für nötige Sanierungen oder die Ausstattung.

Magerstaat: Politisch erzeugte Mangelversorgung

In Deutschland fallen die öffentlichen Bruttoinvestitionen bereits seit 25 Jahren derart niedrig aus, dass sie kaum in der Lage sind, den üblichen Verschleiß der Infrastruktur überhaupt nur auszugleichen. Vielfach fielen die Abschreibungen der Infrastruktur höher aus als die Bruttoinvestitionen, so dass Deutschland in zehn der letzten 15 Jahre sogar negative Nettoinvestitionen verzeichnete.

Wohlgemerkt: Die Sparpolitik bedeutet, dass die deutschen Regierungen bis heute nicht einmal bereit sind, für einen ausreichenden Ersatz verfallender Infrastrukturen zu sorgen, ganz zu schweigen von notwendigen Erweiterungsinvestitionen. Denn in der Vergangenheit sind zahlreiche Zusatzbedarfe entstanden - allein durch wachsende Städte, die eklatante Wohnungsnot und den steigenden Pflegebedarf. Entsprechend müssten die Nettoinvestitionen eigentlich kräftig steigen und nicht stagnieren.  

Besonders betroffen von der Unterfinanzierung sind die Kommunen, die einst die wesentlichen Träger der staatlichen Investitionstätigkeit waren. Bereits unter der Regierung von Helmut Kohl (CDU) sackten die kommunalen Nettoinvestitionen beträchtlich ab. Doch erst die rot-grüne Regierung (1998-2005) würgte sie vollends ab. Unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) verschwanden sie erstmals in negatives Terrain, wo sie bis heute verharren. Ursache waren die massiven Steuergeschenke von SPD und Grünen an Unternehmen und Wohlhabende. Die Mindereinnahmen durch die Steuerreformen des damaligen Finanzministers Hans Eichel belasten die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden bis heute. Das kommunale Investitionsdefizit ist eine der Folgen.

Seit 2002 addieren sich die negativen Nettoinvestitionen der Gemeinden auf rund 76 Milliarden Euro. Das heißt, dieser Betrag wäre erforderlich, allein um die Abschreibungen auzugleichen. Um den gestiegenen Mehrbedarf zu befriedigen, bräuchte es noch weit höhere Summen.

So ermittelt etwa das jährliche Kommunalpanel der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) für 2017 einen kommunalen Investitionsbedarf von 158,8 Milliarden Euro. Dieser Wert beruht auf Befragungen der Kämmereien von Landkreisen, Städten und Gemeinden. Genau aus diesem Grunde dürfte auch er noch eine konservative Schätzung sein. Denn die Erfahrung lehrt, dass viele Kämmerer eine Schere der Finanzierbarkeit im Kopf haben, die durch die jahrelange Austerität und den deutschen Magerstaat geprägt zu sein scheint.

Deutsche Austerität: Schlechter Einfluss auf Europa

In Rahmen der Europäischen Union gehört Deutschland seit vielen Jahren zu den Staaten mit der niedrigsten öffentlichen Investitionsquote. Seit über zwanzig Jahren schon verharren die deutschen Nettoinvestitionen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) deutlich unterhalb des EU-Durchschnitts. Besorgnis erregend dabei: Seit der Finanzkrise 2008 und der anschließenden Eurokrise folgen die EU-Länder im Durchschnitt immer stärker dem schlechten deutschen Beispiel und stutzen ihre Investitionen. Die verschärften Haushaltsregeln durch den europäischen Fiskalpakt - das Pendant der deutschen Schuldenbremse - sowie Brüssels Budgetkontrollen tragen ihren Teil dazu bei, die öffentliche Infrastruktur EU-weit abzuschmelzen.    

Zu den besonders gelehrigen Adepten der Berliner Austerität gehören die letzten beiden Präsidenten Frankreichs, Hollande und Macron. Frankreich nämlich kann beispielhaft für jene Länder gelten, die noch bis zur Finanzkrise in halbwegs vernünftigem Maße die öffentliche Infrastruktur finanzierten. Seither jedoch nähert sich das Land immer mehr dem spartanischen Deutschland. Ganz anders hingegen Schweden. Der skandinavische Wohlfahrtsstaat kann für jene Länder stehen, die an einer Investitionsquote festhalten, die nicht nur den Ersatz, sondern auch die Erweiterung der öffentlichen Infrastruktur ermöglicht. 

Obgleich der EU-Durchschnitt zunehmend dem schlechten Beispiel Deutschlands folgt, gibt es neben Schweden noch eine Reihe weiterer positiver Abweichler. Allein 14 EU-Staaten verzeichneten 2017 Nettoinvestitionen von mindestens 0,5 Prozent des BIP - ein Wert, den das austeriane Deutschland schon seit mehreren Jahrzehnten nicht erreicht. Besonders bemerkenswert: Spitzenreiter ist Estland mit 2,4 Prozent des BIP, und damit ein osteuropäischer Staat. Noch fünf weitere der osteuropäischen EU-Mitglieder weisen höhere Investitionsquoten als Deutschland auf: Polen, Rumänien, Kroatien, Ungarn und die Slowakei.   

 

Erst dieser Vergleich mit unseren Nachbarn vermittelt einen angemesseneren Eindruck davon, in welch starkem Maße die deutschen Regierungen die öffentliche Infrastruktur schrumpfen lassen. Und er wirft unweigerlich die Frage auf, warum in weit ärmeren Ländern geht, was im reichen Deutschland notorisch als unmöglich erklärt wird: eine Investitionsquote nämlich, die eine weit bessere Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur erlauben könnte. Denn bei entsprechendem politischen Willen wäre es in Deutschland durchaus möglich, die Daseinsvorsorge in allen Bereichen bedarfsgerecht auszubauen, seien es öffentliche Schulen, Krankenhäuser, Pflegeheime, Wohnungen, Busse oder Bahnen.